Safer Spaces sind nicht nur Schutzraum, sie sind eine Methode der Herrschafts- und Erkenntniskritik
Der nachfolgende Text, ursprünglich von Christoph Haker und Lukas Otterspeer verfasst, wurde von der Plattform Kulturelle Bildung Online und den Kulturpolitischen Mitteilungen für eine Veröffentlichung abgelehnt. Wir, Christoph Haker, Lukas Otterspeer und Werner Thole, möchten den Text nun nicht trotz, sondern gerade wegen der vorherigen Ablehnungen veröffentlichen. Um unsere Auseinandersetzung mit den Ablehnungen zu reflektieren, ergänzten wir den eigentlichen Text um eine Vorrede.
Keine Offenheit für rechtsnationale Positionen – eine Vorrede
Anlass für den Text „Einladung zum Draußen-Bleiben“ war die extrem rechte Mobilisierung gegen einen Safer Space in der Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.“, die von März bis Oktober 2023 im Dortmunder LWL-Museum Zeche Zollern besucht werden konnte. Samstags von 10 bis 14 Uhr waren Besucher*innen dazu eingeladen, die Ausstellung zu einem Safer Space für Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) zu machen bzw. diesen durch das eigene Fernbleiben bzw. Kommen zu ermöglichen. Gegen dieses Angebot mobilisierten rechts-nationale Medienplattformen und Akteur*innen in sozialen Medien. Dem Museum wurde von dieser Seite „Rassismus gegen Weiße“ und die Unterminierung eines offenen demokratischen Diskurses vorgeworfen. Gleichzeitig war die Bedrohungslage für das Museum so groß, dass die Ausstellung phasenweise von der Polizei geschützt werden musste (Aboulwafi 2023). Auch in (überregionalen) Medien wurde im Anschluss der Safer Space ablehnend kommentiert (siehe z.B. Keilani 2023; Schneider 2023) und kontrovers über ihn berichtet (RTL 2023).
Die Ausstellung „Das ist kolonial.“ wurde damit Objekt eines Kulturkampfs von rechts. In diesem wird gerade „die Offenheit und der Pluralismus des bestehenden Kulturbetriebs […] in Anspruch genommen, um Ideologien der menschlichen Ungleichwertigkeit zu verbreiten und mehrheitsfähig zu machen“ (Klose/Mohseni 2019, S. 66). Instrumentalisiert „werden Begriffe wie ‚Neutralität‘ und ‚Meinungsfreiheit‘“, um „bereits die Kritik an diskriminierenden und antidemokratischen Positionen als ‚nicht neutral‘“ (Klose/Mohseni 2019, S. 69) zu markieren. Herausfordernd ist dabei, „dass Rechtsextreme und Rechtspopulist*innen nicht selten Fragen aufgreifen, die im Kunst- und Kulturbetrieb selbst kontrovers und selbstkritisch diskutiert werden“ (Klose/Mohseni 2019, S. 68). Ziel dieser Strategie ist es, „Akteur*innen zu verunsichern und dazu zu bewegen, klare Positionen zurückzunehmen oder von vornherein zu vermeiden. Das weitergehende Ziel ist, durch kontinuierliche Diskreditierung von Kunst- und Kultureinrichtungen als ‚ideologisch‘ oder ‚elitär‘ die Verunsicherung auch auf andere Projekte und Einrichtungen sowie Kooperationspartner*innen und Fördermittelgeber*innen auszudehnen“ (Klose/Mohseni 2019, S. 69).
Der nachfolgende Text „Einladung zum Draußen-Bleiben“ ist eine Intervention gegen die vorgebrachten Argumente, der Safer Space sei „Rassismus gegen Weiße“ und würde für einen verengten und damit undemokatischen Diskurs stehen. Wir haben den Text bei der Einreichung bei den genannten Publikationsformaten als wissenschaftlich fundierten Kommentar bezeichnet. Der formulierte Widerspruch und die Gegenposition zur extremen Rechten beansprucht, wissenschaftlich fundiert zu sein. Als Kommentar erfüllt der Text aber auch die Funktion, Solidarität und Zuspruch für die Menschen und Institutionen zu artikulieren, die sich Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt sahen. Dass wir nun mit einer Vorrede beginnen, liegt daran, dass die Gegenargumente aus dem Kreis der Redaktionen, Träger*innen und Herausgebenden von Kulturelle Bildung Online und den Kulturpolitischen Mitteilungen nicht ausschließlich für unseren Text relevant sind.
In der Ablehnung des folgenden Textes zeigt sich konkret, was Klose und Mohseni (2019) als allgemeine Herausforderung benennen: Durch den Bezug auf eine öffentlich und fachlich diskutierte Methode, den Safer Space, und eine nur scheinbare Argumentation gegen Rassismus, positioniert sich die extreme Rechte so, dass die Veröffentlichung einer deutlichen Gegenposition in relevanten Publikationsorganen der Kulturpädagogik nicht möglich scheint. Uns wurde mehrfach zurückgemeldet, dass sich in der redaktionellen Auseinandersetzung mit dem Text kein einheitliches Meinungsbild zeigt, dass unterschiedliche Meinungen eingeholt wurden und dass diese kontrovers waren. Man war aber schlussendlich nicht bereit, sich auf eine solche Kontroverse einzulassen und eine Positionierung gegen die extreme Rechte zu veröffentlichen.
Kulturelle Bildung Online lehnte den Text als „zu einseitig und unausgewogen“ ab. Kritisch wurde zurückgemeldet: „Was ist mit dem Gegenargument zu ‚Safer Space‘, wonach ein Austausch zwischen verschiedenen Gruppen damit unmöglich wird und dass es gerade für weiße Menschen sehr bereichernd wäre, mit farbigen Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, was kolonial ist? Hat das Museum nicht auch eine Verantwortung, solche Austauschformen zu moderieren?“ Die Kulturpolitischen Mitteilungen forderten „mehr definitorische Klarheit, argumentative Offenheit, und Diskursangebote“. Es müsse darum gehen, „das Zusammenleben in der Zuwanderungsgesellschaft insgesamt voranzubringen.“ Im Gegensatz dazu baue der eingereichte Text „jedoch Gegensätze auf, wo gerade deren Überwindung kulturpolitisch angesagt ist.“
Über diese Einwände kann sicherlich diskutiert werden – und es ist auch die Intention des Textes, diese Diskussion zu befördern. Im Kern jedoch geht es darum, zu verdeutlichen, in welcher Form und mit welchen Argumenten das rechts-nationale Milieu versucht, im Feld des Kulturellen Deutungsmacht zu gewinnen. An der in den Ablehnungsschreiben vorgebrachten Argumentation lassen sich – mindestens – zwei Dinge kritisch markieren:
- Wir halten es erstens für problematisch, auf massive rechts-nationale Bedrohungen mit Argumenten nach Ausgewogenheit und argumentativer Offenheit, also nach Neutralität, zu reagieren. Vielmehr sollte es darum gehen, die Strategien der extremen Rechten zu benennen, Einfallstore zu schließen und die Positionen zu stärken, die sich extrem rechten Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt sehen (Quent 2019). Dass sich trotz einer gewissen internen Kontroversität in den Redaktionen am Ende die Argumente der Ausgewogenheit und argumentativen Offenheit durchsetzen konnten, irritiert, denn beide Publikationsformate sind durchaus als Orte anzusehen, die auch kritischen Positionen Raum zur Artikulation bieten. Es ist uns ein Anliegen, Solidarität für solche Kulturinstitutionen und Akteur*innen auszudrücken, die nach Wegen und Methoden (wie eben Safer Spaces) suchen, Prozesse des Austausches und der Erkenntnisbildung inklusiver zu gestalten. Dass dabei über Vor- und Nachteile der gewählten Methoden gestritten werden kann, ist selbstredend. Der nachfolgende Text beleuchtet daher auch Grenzen der Methode Safer Space. Mit der Forderung nach Ausgewogenheit und argumentativer Offenheit ist dem extrem rechten Kulturkampf allerdings nichts entgegenzusetzen, da gerade mit Begriffen wie Neutralität und Meinungsfreiheit diskriminierungskritische und demokratisierende Vorhaben im Kulturbereich diskreditiert werden. Die Meldeplattformen der AfD zu „neutralen Schulen“ (Haker/Otterspeer 2021), das Beharren der Jungen Alternative auf der politischen Neutralität von Hochschulen und der jüngste Auftritt von Götz Kubitschek an der Universität Wien, bei dem die Identitäre Bewegung „Meinungsfreiheit ist kein Verbrechen“ skandierte, zeigt diese Problematik (siehe zur Situation an Hochschulen auch Haker/Otterspeer 2023a; Haker/Otterspeer 2023b; Haker/Lehnert/Otterspeer/Thole 2023).
- Zweitens zeigt sich, dass Rassismuskritik und deutliche Positionierungen gegen rechts-nationale Interventionen im Feld der Kultur und der kulturellen Bildung sowie in kulturpolitischen Debatten noch Entwicklungsbedarf zeigen. Dass es „für weiße Menschen sehr bereichernd wäre, mit farbigen Menschen darüber ins Gespräch zu kommen, was kolonial ist“, dokumentiert eine sicherlich im Diskurs prominent wahrzunehmende Position, die allerdings einseitig von Kolonialismus potentiell marginalisierte Menschen in Verantwortung setzt, der weißenDominanzgesellschaft zu Erkenntnissen zu verhelfen. Und dass ein „Austausch zwischen verschiedenen Gruppen“ immer die erste Wahl bzw. der einzige Zugang sein sollte, ignoriert gesellschaftliche Machtverhältnisse, die eben einen solchen Austausch nicht für alle gleichermaßen möglich machen, ohne dass sich rassistische, misogyne etc. Logiken und damit verbundene Diskriminierungen reproduzieren. Die formulierten Fragen ignorieren zudem, dass das Museum lediglich samstags für vier Stunden einen Safer Space eingerichtet hat, sonst aber mit ganz unterschiedlichen Formaten und Methoden arbeitete und die Ausstellung „Das ist Kolonial.“ als partizipative Werkstatt konzipiert war. Auch in dieser einseitigen Fokussierung auf die Methode Safer Space, die isoliert zum Gegenstand von Kritik und nicht in ihrer Ergänzung mit anderen Zugängen in ihrem Potential gesehen wird, konvergieren die Argumentationen von Kulturelle Bildung Online, den Kulturpolitischen Mitteilungen und extrem rechten Akteur*innen.
Wir wurden in der Rückmeldung von Kulturelle Bildung Online auch gefragt: „Kann man wirklich alle Menschen in eine rechte, rassistische Ecke stellen, die das Ausstellungskonzept mit den gesonderten Zeiten für BIPoC hinterfragen?“ Das versucht der Text auch nicht – jedoch: Die Angriffe gegen die Ausstellung „Das ist Kolonial.“ kamen eindeutig aus dem extrem rechten Spektrum und waren nicht darauf angelegt, eine Diskussion zu initiieren, sondern intendierten, die Ausstellungsmacher*innen als nicht „offen“ für die – weiße – Zivilgesellschaft zu attackieren. Gegen die Argumente und die thematischen Schwerpunktsetzungen aus diesem Spektrum richtet sich der Text. Gleichzeitig scheint es wichtig, danach zu fragen, welche Anknüpfungspunkte sich zwischen diesem Spektrum und der demokratischen Öffentlichkeit zeigen. In Bezug auf diese Anknüpfungspunkte gilt: „Demokraten sollten sich von Rechtsradikalen nicht in deren Argumentationsstrukturen, Begriffe und Themen drängen lassen“ (Quent 2019, S. 259). Dies gilt sowohl für die Wortwahl „Rassismus gegen Weiße“ als auch für den Ruf nach Neutralität von Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen. All diese Einrichtungen sind auf einen demokratischen Konsens angewiesen, der von der extremen Rechten abgelehnt wird und sollten sich daher nicht neutral verhalten. Zu dieser Nicht-Neutralität zählt auch: „Solidarität mit denen, die Angriffen von rechts außen ausgesetzt sind“ (Quent 2019, S. 259). Der nachfolgende Text möchte dazu beitragen, für Versuche rechts-nationaler Landnahmen im Kulturbereich zu sensibilisieren, um sie zurückzudrängen. Es handelt sich um eine leicht überarbeitete Version des eingereichten Textes.
Einladung zum Draußen-Bleiben
Dieser Text zielt auf eine paradox anmutende Einsicht: Safer Spaces, also geschützte und nicht für alle gleichermaßen zugängliche Räume, sind eine Methode zur gesamtgesellschaftlichen Verständigung und Demokratisierung. Die Bitte, einen Safer Space nicht zu betreten, ist folglich keine Ausladung. Sie ist eine Einladung zum Draußen-Bleiben und damit zur Beteiligung an gesamtgesellschaftlichen Lernprozessen.
Diese Einsicht ist kein Konsens. So war die Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.“ im Dortmunder LWL-Museum Zeche Zollern jüngst Anlass einer durch (extrem) rechte Akteur*innen initiierten Aufregungswelle. Zu der Ausstellungswerkstatt gehörte ein Safer Space. Samstags von 10 bis 14 Uhr war die Ausstellungswerkstatt für Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) reserviert, um sich in einem geschützteren Raum „zurückziehen und offen austauschen zu können“ (LWL-Museum Zeche Zollern 2023a).
Dieser temporäre Safer Space war Anlass (extrem) rechter Empörung und Bedrohung. Das Museum sah sich mit rechtsextremen Plakataktionen und Hassmails konfrontiert. Rechtsextreme kündigten an, den Safer Space zu stören. Die Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.“ war damit Ziel des (extrem) rechten Kampfs um kulturelle Hegemonie (Klose/Mohseni 2019). Auf einschlägigen Medienplattformen wurde auf die Ausstellung aufmerksam gemacht, ein „Rassismus gegen Weiße“ beklagt sowie die Unterminierung des demokratischen Diskurses moniert. Gegen diese Argumente richtet sich der folgende Text.
Das Argument eines „Rassismus gegen Weiße“ sieht von der Geschichte des europäischen Kolonialismus ab, ist damit geschichtsvergessen und analytisch falsch (Mecheril/Scherchel 2011; Rommelspacher 2011). Rassismus, wie er heute wirkmächtig ist, ist in seiner Entstehung an den europäischen Kolonialismus, die Aufklärung sowie weiterführende Rationalisierung im Zuge der Moderne gebunden. Als Ideologie rechtfertigte er die Entrechtung, Ausbeutung, Versklavung und Ermordung von Menschen im globalen Süden durch die europäischen Kolonisator*innen, die gleichzeitig die Idee der Menschenrechte ausformulierten. Im Zuge der sich ausdifferenzierenden Wissenschaft wurde der für Rassismus zentrale Begriff der „Rasse“ weiter theoretisiert als auch über einen selektiven und von Rassismus angetriebenen biologisierenden und kulturalisierenden Empirismus pseudo-rationalisiert.[1] Unbestritten ist, dass auch weiße Menschen[2] Diskriminierung erfahren und gesellschaftlich marginalisiert werden – der Feminismus oder queere Positionierungen zeigen das deutlich. Den Begriff des Rassismus aber zu nutzen, um die Einladung zum Draußen-Bleiben an weiße Museumsbesucher*innen zu problematisieren, unterschlägt seine ganz spezifische und für die europäische Moderne prägende Bedeutung und Historie, die bis heute fortwirkt und globale Verhältnisse prägt.
Auch das Argument, dass ein Safer Space den demokratischen Diskurs unterminiert, weil er ja gerade einen gemeinsamen Austausch verunmöglicht, verwundert zunächst auf einer sehr allgemeinen Ebene. Es finden sich allerorts Räume, die nur bestimmten Gruppen zugänglich sind: Frauensauna, FKK-Strände oder Männerfußball. Der erste Reflex der Personen, die durch Safer Spaces dazu eingeladen sind, draußen zu bleiben, ist häufig: Ich bin doch kein Rassist, vor mir braucht doch niemand Angst haben, euer Ausschluss verunmöglicht das gemeinsame Gespräch. Angesichts solcher Skepsis ist es wichtig, die Bedeutung von Safer Spaces für die weiße Dominanzgesellschaft in den Blick zu nehmen. Wir Autoren, selbst mittelalte weiße Männer, gehören zu denjenigen, an die häufig die Bitte gerichtet ist, solche Räume nicht zu betreten. Auf der Webseite der Ausstellungswerkstatt hieß es: „Wir danken allen Besucher*innen, dass sie diesen Safer Space durch ihre Mitwirkung möglich machen“ (LWL-Museum Zeche Zollern 2023b). Dieser Safer Space auf Vertrauensbasis bietet damit nicht nur die Möglichkeit für BIPoC, einen geschützteren Raum aufzusuchen. Er fordert auch die weiße Dominanzgesellschaft dazu auf, sich Gedanken zu machen. Als weiße Personen können wir uns etwa fragen: Wie oft befinden wir uns in unserem Alltag in Räumen, die ausschließlich weiß sind? Warum gibt es Safer Spaces von und für BIPoC und warum trifft mich die Aufforderung, draußen zu bleiben?
Die erste Frage kann jeder für sich selbst beantworten. Die zweite Frage ist komplexer. Sicher: Safer Spaces sind zunächst eine Methode (Madubuko 2021), die vulnerablen, marginalisierten und/oder diskriminierten Gruppen größere Sicherheit bieten soll. Die Menschen, die solche Räume nutzen, sind jedoch nicht passiv, sondern aktiv. Sie stellen diese Räume her und gestalten sie praktisch aus. Beispielsweise waren für die Entwicklung eines Arbeiter*innenbewusstseins, für den Feminismus, den US-amerikanischen Schwarzen Feminismus und für queere Positionen mal mehr und mal weniger geschützte Räume zentral, in denen sich ein Bewusstsein für die eigene Position und eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse ausbuchstabieren konnte, die erheblich zur Demokratisierung von Gesellschaft beigetragen haben. Diese Beispiele zeigen: Die Methode Safer Space hat trotz ihrer exkludierenden Form das Potenzial, Lernprozesse in der gesamten Gesellschaft anzustoßen.
Safer Spaces sind also nichts Neues und können neben dem Schutzaspekt zu Herrschafts- und Erkenntniskritik beitragen. Sie legen den Finger in die Wunde einer Gesellschaft, die sich gerne als frei, gleich und gerecht versteht, die aber von u.a. rassistischen Herrschaftsstrukturen durchzogen ist. Sie zeigen darüber hinaus, dass auch unser Wissen von diesen Strukturen mitbestimmt wird und daher die Genese von Erkenntnis eine ebenso große Aufmerksamkeit bekommen sollte, wie ihre Geltung.
Wenn Safer Spaces als herrschafts- und erkenntniskritische Methode gedacht werden, dann wird auch deutlich, warum der Vergleich etwa zur Frauensauna hinkt. Zielführender kann ein Blick auf Bildungs- und Kultureinrichtungen sein. Hier ist es üblich, homogene Gruppen zu bilden und anzusprechen: Denken wir an Mütterkaffees, Kindertheater, Jugendbildungsreisen, die Zusammensetzung von homogenen Kleingruppen im Schulunterricht, Mädchentreffs usw. Diese Orte schaffen nicht nur Sicherheit und Vertrautheit, sondern ermöglichen auch den Austausch auf Augenhöhe, die Artikulation individueller und kollektiver Positionen sowie die Schaffung von Wissen, das in anderen Sozialformen oft ungesagt bleibt. Der Blick in Bildungs- und Kultureinrichtung zeigt aber auch, dass die Bildung heterogenerer Gruppen üblich ist. Beispiele sind Theater für alle, heterogene Kleingruppen im Schulunterricht, Tage der offenen Tür, kontroverse Podienbesetzungen usw. Diese Arrangements machen Vielfalt erlebbar, stellen Kontakt zwischen unterschiedlichen Positionen her und fördern die Durchführung kontroverser Diskussionen. Beide Gruppenzusammensetzungen, heterogene wie homogene, haben ihren methodischen Wert. Pädagogisch gesprochen handelt es sich hierbei um lernförderliche Differenzierung, nicht um Ausschluss.
In einer Ausstellungswerkstatt zur Aufarbeitung des Kolonialismus bietet ein Safer Space größeren Schutz und Sicherheit für Menschen, deren Leben bis heute von den Auswirkungen des ausbeuterischen und mörderischen europäischen Kolonialismus geprägt ist. Dies ermöglicht es ihnen, die Ausstellung zu erleben, zu diskutieren und zu kritisieren – und zwar in einem Raum, der weniger diskriminierend ist bzw. in dem Diskriminierung eher thematisiert werden kann. Zugleich bietet ein solcher Safer Space die Möglichkeit, dass Perspektiven erarbeitet und zum Ausdruck gebracht werden, die gerade von einem Austausch in einem solchen geschützteren Raum oder dem erbetenen Draußen-Bleiben abhängig sind. Die Methode hat also auch einen erkenntnistheoretischen Wert.
Die Kritik, Safer Spaces seien „Rassismus gegen Weiße“ oder ausschließende Orte, die den demokratischen Diskurses beschädigen, erweist sich bei genauerem Hinsehen als (extrem) rechte Agitation und unsachliche Kritik. Dennoch hat die Methode der Safer Spaces selbstverständlich Grenzen, die in der von Intersektionalität geprägten Ungleichheit moderner Gesellschaften liegt. Wenn beispielsweise die Differenz weiß-BIPoC in den Fokus rückt, kann die Vielschichtigkeit von sozialen Ungleichheitsverhältnissen übersehen werden. Safer Spaces für bestimmte Gruppen sollten also nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb dieser Gruppen große Vielfalt gibt und dass es entlang anderer Differenzkonstruktionen zu anderen Gruppenzusammensetzungen kommen kann. Dies gilt auch für die Gruppe, die gebeten wird, draußen zu bleiben.
Diese Grenzen der Methode sprechen aber nicht gegen ihre Anwendung. Stattdessen laden sie dazu ein, die Methode auszuprobieren, zu modifizieren und mit anderen Methoden zu kombinieren. Erst im jeweils konkreten Setting zeigt sich, ob eine Methode funktioniert. Und ob sie funktioniert, hängt zentral von den zum Draußen-Bleiben Eingeladenen ab: bin ich bereit, etwas über meine eigene historisch bedingte soziale Position zu lernen, Menschen zuzuhören, die aus einer anderen sozialen Position agieren und diese (wie ich meine eigene) in Begriffen zu beschreiben versuchen? Bin ich bereit zu verstehen, dass es nicht um meinen Ausschluss, sondern um eine weniger exklusive Gesellschaft geht, für welche meine eigene soziale Position mitunter ein Problem darstellt?
Literatur
Haker, C. & Otterspeer, L. (2021). Bedingte Autonomie, nicht Neutralität – „Neutrale Schulen Hamburg“ (AfD) und ihre Kritik. In J. Drerup, D. Yacek, M. Zulaica y Mugica (Hrsg.), Dürfen Lehrer ihre Meinung sagen? Demokratische Bildung und die Kontroverse über Kontroversitätsgebote (s. 209-227). Stuttgart: Kohlhammer.
Haker, C. & Otterspeer, L. (2023a): Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen – Perspektiven von Betroffenen. Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung, 3(1), 102–117.
Haker, C. & Otterspeer, L. (2023b). Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen – eine Feldexploration und Herausforderungen in der Lehre. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 43(4), 373–390
Haker, C., Lehnert, E. Otterspeer, L. & Thole, W. (2023). Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus. Eine Podiumsdiskussion. In P.-I. Villa (Hrsg.), Polarisierte Welten. Verhandlungen des 41. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2022.
Klose, B. & Mohseni, H. (2019). Der Kulturkampf von rechts ist in vollem Gange. Erfahrungen aus der Beratung von Kulturschaffenden im Umgang mit Anfeindungen von AfD & Co. In: Bundesverband Mobile Beratung e.V. (Hrsg.), Auf zu neuen Ufern. Warum Mobile Beratung und Politische Bildung mehr sein müssen als Extremismusprävention (S. 66-73). Dresden: Bundesverband Mobile Beratung e.V.
Madubuko, N. (2021). Praxishandbuch Empowerment. Rassismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen. Weinheim: Beltz.
Mecheril, P. & Scherchel, K. (2011). Rassismus und „Rasse“. In C. Melter & P. Mecheril (Hrsg), Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und -forschung (S. 39-58). Schwalbach: Wochenschau.
Quent, M. (2019). Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. Piper: München.
Rommelspacher, B. (2011). Was ist eigentlich Rassismus? In C. Melter & P. Mecheril (Hrsg), Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorie und -forschung (S. 25-38). Schwalbach: Wochenschau.
[1] Auch der Antisemitismus hat im Zuge des kolonialen Rassismus Reformulierungen erfahren, wenn etwa ein religiös-kultureller Antisemitismus um biologisierende Herleitungen und damit um scheinbar ‚naturwissenschaftliche‘ Fundierungen ergänzt wurde (Rommelspacher 2011).
[2] Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beschreibt weiß für uns keine bestimmte Hautfarbe, ist also keine biologische Kategorie. Benannt ist eine soziale Position, die in Praxis mit ihren Privilegien immer wieder hergestellt wird und als solche lesbar ist.
Christoph Haker
Dr. Christoph Haker ist Soziologe und Lehrer und arbeitet an einer Stadtteilschule in Hamburg.
Lukas Otterspeer
Dr. Lukas Otterspeer ist Erziehungswissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund.
Prof. Dr. phil. habil. Werner Thole war bis 2021 Hochschullehrer für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Arbeit und außerschulische Bildung am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel.
Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind: Jugend und Kindheit, Kinder- und Jugendhilfe, Professionalisierungs-, Kindheits- und Jugendforschung, Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Strukturen und Praktiken pädagogischen Handelns.
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24/12/2023