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Fermentieren, Feminismus und Soziale Arbeit?

„Können wir einen Fermentierkurs machen?“, fragten mich kürzlich Studierende in einem Seminar zu Klima(queer-)gerechtigkeit und Sozialer Arbeit. „Okay, aber dann überlegt euch bitte, was das mit Ökofeminismus zu tun hat“, entgegnete ich. Nachdem die Studierenden Kimchi verarbeitet haben und (hoffentlich) noch über Ökofeminismus nachdenken, machen sich die Mikroben in den Gläsern an die Arbeit und ich mich am Schreibtisch auf die Suche nach Verbindungen dieser Themen. Interspecies Teamwork. Ich teile in diesem Beitrag noch nicht komplett ausgegorene Überlegungen zu Fermentieren, Ökofeminismen und sozial-ökologischer Sozialer Arbeit.

Symbiotisches (Über-)Leben auf der Erde

Die Ausbeutung von Natur ist eng mit der Ausbeutung marginalisierter Gruppen, wie beispielsweise Flinta*-Personen, Arbeiter*innen, Indigenen Personen und People of Colour, verbunden und diese Personengruppen leiden insbesondere unter den Folgen der Klimakrise, so die Grundannahmen von Ökofeminismen. Ökofeminismen beziehen sich auf verschiedene theoretische Grundlagen (s. hierzu Hansen/Garner 2024). Eine bedeutende Referenz ist der sog. New Materialism, eine philosophische Denkrichtung, die sich seit den 2000er Jahren entwickelt hat. New Materialism räumt dem Mehr-als-Menschlichem (z.B. Mikroben, Tiere, Pflanzen, Flüsse) eine besondere Bedeutung im Nachdenken über unsere soziale Welt ein, ebenso wie Technologien und menschlichen Körpern. Diese Perspektiven überschreiten menschenzentrierte (präziser: weiße männerzentrierte) Weltbilder und hinterfragen kritisch starre Grenzziehungen zwischen Menschen und Mehr-als-Menschlichem. Implantierte Schweineherzen, elektronische Herzschrittmacher und durch Nahrung aufgenommenes Mikroplastik in unseren Körpern zeigt, wie durchlässig diese Grenzen sind. 

New-materialistische Perspektiven (wie auch dekoloniale) berücksichtigen Indigenes Wissen, dekonstruieren dualistische Trennungen (z.B. privat/öffentlich; Mann/Frau) und stellen ethische Fragen um das gemeinsame (Über-)leben innerhalb planetarer Grenzen. Kritter nennt die Wissenschaftlerin Donna Haraway (2018) alle lebenden Wesen auf dem Planeten, und spekuliert-fabulativ[1] in ihren Geschichten von symbiotischeren Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Krittern (Kinship).

Für eine Soziale Arbeit, die sich mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit beschäftigt, sind Ökofeminismen und New Materialism gewinnbringende Inspirationen. Eine solche sozial-ökologische Soziale Arbeit basiert auf der Annahme, dass für die Förderung soziale Gerechtigkeit und der Begleitung gesellschaftlicher Entwicklungen (siehe IFSW) in Zeiten der fortschreitenden Klimakrise ökologische und soziale Fragestellungen enger miteinander verwoben werden müssen. 

Kritter und Kimchi: Interspecies Teamwork und kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse

Obst, Gemüse und Fleisch einzulegen, um sie mithilfe von mikrobiotischen Prozessen haltbarer oder bekömmlicher zu machen, und/oder sie in andere Produkte zu transformieren (z.B. Wein, Joghurt) wird seit ca. 8000 Jahren praktiziert. Fermentieren spielt und spielte eine bedeutende Rolle in Indigenen Kulturen, sodass wir uns beim Wissen um Fermentieren auch auf Indigene Referenzen beziehen. Diesen Entstehungskontext, wie auch die gewaltvolle Unterdrückung, Ausbeutung und Auslöschung Indigener Kulturen gilt es in den aktuellen Auseinandersetzungen um Fermentieren sichtbar zu machen, um kulturelle Aneignungen zu vermeiden. 

„Fermentation as a process of transformation becomes both a metaphor and material practice trough which to explore important issues for feminist artists and researchers today, from the politics of labour, affect, survival and care to colonialism, food, indigenity, and the land”, beschreibt es die Künstlerin und Wissenschaftlerin Lauren Fournier (2017, S. 3). Sie macht deutlich, dass es nicht eine Verbindung zwischen Ökofeminismen und Fermentieren gibt, sondern mannigfaltige.

Fermentation als Metapher erinnert uns an jene komplexen Beziehungen unter Krittern bzw. der Symbiose zwischen Spezies, welche Donna Haraway betont. Fermentierte Nahrungsmittel enthalten lebende Mikroorganismen, die, wenn sie in den menschlichen Körper aufgenommen werden, die menschliche Darmflora und das Immunsystem stärken, die Nährstoffverfügbarkeit verbessern und schwer verdauliche Stoffe abbauen. Dieses Interspecies-Teamwork ist ein Beispiel für die vielschichtigen Verwobenheiten menschlichem und mehr-als-menschlichem Kritter (Hey, 2017). Maya Hey und Alex Ketchum (2019) stellen fest: “it [fermentation] builds on the idea of reframing our human existence as a web of relations”. In diese Beziehungsnetze, die wir gerade zwischen Menschen, Mikroben und Lebensmitteln gespannt haben, können auch Fragen sozialer Ungleichheiten und kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse eingewoben werden: Wer hat welchen Zugang zu Lebensmitteln und zu gesunder Ernährung?  Wo und unter welchen Bedingungen werden Lebensmittel produziert, die wir in Deutschland konsumieren? Welche Personen leisten eigentlich hauptsächlich die Arbeit rund um Ernährung bezahlt/unbezahlt und wer hat eigentlich Zeit zum Fermentieren?

Im aktuellen Bürgergeldsatz sind weniger als 50 € wöchentlich für Nahrung inkl. Getränke vorgesehen. Lebensmittelproduktion geht häufig mit der Überdüngung und Übernutzung von Boden einher, mit dem Verlust von Lebensräumen für Menschen und Tieren (sog. Landnahmen), Arbeiter*innen arbeiten in prekarisierten Arbeitsverhältnissen und sind teilweise schädlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt (bspw. Hitze bei der Feldarbeit). Care-Arbeit wird überwiegend von Flinta*s in unbezahlter Form verrichtet. Inwiefern Menschen, die gleichzeitig Care- und Lohnarbeit verrichten (z.B. alleinerziehende Personen) noch Zeit für Fermentieren haben, ist kritisch zu hinterfragen. 

Kommt die Revolution im Einmachglas daher?

Als transformative Praxis kann das Fermentieren Möglichkeiten eröffnen, Fragen um Macht und Herrschaft, von Klimagerechtigkeit, Care-Arbeit, solidarischen und/oder symbiotischen Beziehungsweisen zu diskutieren und diese neu zu denken*leben. 

Eine ökofeministische Lesart des Fermentierens scheint mir dabei besonders wichtig, denn Fermentieren könnte – ohne diese Politisierung – auch in Form eines individualistischen Lifestyles verwendet werden, um sich selbst als besonders ökologisch (und/oder als traditionsbewusste Hausfrau) zu inszenieren. Das damit einhergehende Whitewashing, die Selbstoptimierung und die Aneignung und Kommerzialisierung Indigenen Wissens ist aus ökofeministischer Perspektive zu kritisieren (Hansen/Gerner 2024, S. 128–129). 

Für die Soziale Arbeit, die nach Möglichkeiten sozial-ökologischer Transformationen sucht, kann gemeinsames Fermentieren mit Adressat*innen ein Anlass sein, um jene Themen lebensweltbezogen zu besprechen und Bewusstseinsbildung zu betreiben. Vorstellungen von symbiotischen Mensch-Natur-Beziehungen könnten gemeinsam im Austausch entwickelt werden und Selbst- und Weltbilder sich verändern. Fermentieren kann darüber hinaus ein Angebot für sozialraumbezogene Arbeit, beispielsweise in Nachbar*innenschaftstreffs sein, um solidarische Vernetzung und Care-Strukturen zu ermöglichen. Das Bewusstwerden struktureller Ungleichheiten könnte wiederum die Grundlage für Selbstorganisation und aktivistische Initiativen von/mit Betroffenen sein. Über das Bereitstellen kostengünstiger, geretteter Lebensmittel könnte zudem zu Nachhaltigkeit beigetragen werden. Im Studium der Sozialen Arbeit kann Fermentieren in Nachhaltigkeitsseminaren eine Form transformativen Lernens darstellen, da Studierenden weitere Wissensbestände (hier: verkörpertes Wissen) eröffnet werden.

Fermentieren bietet, als community-orientierte und politische Praxis, durchaus gesellschaftliches Transformationspotenzial und kann daher für eine sozial-ökologische Soziale Arbeit von Bedeutung sein. Kommt die ökofeministische Revolution also im Einmachglas daher? Diese wage ich, trotz allem spekulativem Fabulieren über revolutionäre Mensch-Mikroben-Verbündetheiten zu bezweifeln. Aber frei nach dem ökofeministischen Kitchen Council Communist Manifesto „when we fight together, we must eat together“ lässt sich sagen: Immerhin sind wir für weitere intersektional-feministische Kämpfe und das Engagement für Klimagerechtigkeit dank Kimchi gut versorgt.


[1] Spekulativ-fabulierend ist ein Begriff, den Donna Haraway eingeführt hat. Sie bezeichnet die Darstellungsweise ihres Denkens als „sf“, was u.a. science fiction., spekulatives fabulieren, spekulativer feminismus bedeuten kann. 


Fournier, Lauren (2017): Fermenting Feminism. https://e-artexte.ca/id/eprint/28709/1/FERMENTINGFEMINISM_FOURNIER.pdf.

Hansen, Lina und Gerner, Nadine (2024): Ökofeminismus. Zwischen Theorie und Praxis. Eine Einführung. Berlin: Unrast Verlag 

Haraway, Donna (2018): Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chtuluzän. Frankfurt: Campus Verlag.

Hey, Maya (2017): Relating to, working with, and thinking trough bodies. In: Fournier, Lauren (Hrsg.): Fermenting Feminism, S. 24–29.

Hey, Maya/Ketchum, Alex (2019): Fermentation as Agitation: Transforming how we live together. In: Cuizine 9, H. 2.

Autor*innen-Profil

Florin Kerle hat die Professur für Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Rhein-Main inne.
Die Arbeitsschwerpunkte sind Armut, Kindheitspädagogik, kritische Soziale Arbeit, Dispositivanalyse und Machtanalytik, qualitative Sozialforschung (insb. Ethnographie und GTM)

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