Julian Sehmer & Stephanie Simon
Was haben zwei Postings von Markus Söder am politischen Aschermittwoch, Interviews von Alice Weidel und Jens Spahn zu ihren Ehen, die Kritik an queeren pädagogischen Angeboten und Proteste und gewaltsame Aufmärsche gegen Vorlesestunden von Drag-Queens in den USA, Wien und München gemeinsam?
Genau: Sie sind Teil aktueller queerfeindlicher Mobilisierungsdynamiken.
In unserem Beitrag „Queerfeindliche Mobilisierung von rechts: kulturelle Deutungskämpfe um geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und ihre Bedeutung für Bildung und Erziehung“, erschienen im Sammelband „Pädagogik und Geschlecht als Gegenstand politischer Kämpfe“ (Bergold-Caldwell et al. 2025) gehen wir den Fragen nach,
- wieso queerfeindliche Einstellungen in den letzten Jahren, allen aktuellen Studien zufolge, zugenommen haben,
- wieso die Ablehnung gegen gendergerechte Sprache zugenommen hat und zum politischen Kampfthema werden konnte,
- Wieso in Deutschland 2024 durchschnittlich 8 Hassverbrechen gegen queere Personen pro Tag von der Polizei registriert wurden
- und wieso 2025 fast jeder zweite Christopher Street Day in Deutschland attackiert worden ist.
Queerfeindlichkeit meint die Ablehnung, Abwertung und Anfeindung von LGBTI*Q-Personen als gefährlich und ungleichwertig. Queerfeindlichkeit, das zeigen wir in unserem Beitrag, hängt dabei deutlich auch mit antifeministischen Narrativen, Heteronormativität und patriarchalen Geschlechtervorstellungen zusammen. Trotzdem verstehen wir sie etwa nicht als Teil von Sexismus, sondern als eine eigenständige Dimension der Ideologien der Ungleichwertigkeit verstehen, die sexistische Anteile hat, sowie antifeministische aber auch verschwörungsideologische Fragmente aufweist.
Für unseren Beitrag haben wir queerfeindliche Aktionen und Statements online und offline gesichtet und analysiert. Dazu gehören u.a. Interviews, Twitter-Posts, Youtube-Videos, Zeitungsbeiträge und wissenschaftliche Publikationen. Auf Basis qualitativ-rekonstruktiv orientierter Analysen arbeiten wir fünf unterschiedliche Mobilisierungsdynamiken heraus, die vorwiegend von sich rechts positionierenden Akteur*innen ausgehen und die die aktuelle queerfeindliche gesellschaftliche Entwicklung befördern respektive abbilden.
Die fünf Dynamiken stellen den Versuch einer Ordnung des aktuell zunehmenden Feldes der Queerfeindlichkeit dar, wenngleich die Analyse nicht abgeschlossen ist – denn wir wissen auch, dass sich (extrem) rechte Dynamiken wandeln und anpassen können.
Um nicht den ganzen Text vorwegzunehmen, möchten wir an der Stelle eine für uns zentrale Erkenntnis teilen:
Besonders spannend war für uns, dass sich rechte Akteur*innen für alle fünf Dynamiken sogenannte ‚kulturelle Brücken‘ zunutze machen können, mit denen sie an sehr verbreitete Vorstellungen und Überzeugungen in der Mehrheitsgesellschaft anschließen können, und so auch Gruppen erreichen, die vielleicht bisher noch keine rechtsextremen Einstellungen geteilt haben. Genau das macht in unseren Augen jedoch queerfeindliche Mobilisierungen so „erfolgreich“ und so gefährlich nicht nur für queere Menschen selbst, sondern auch in Bezug auf den gesamtgesellschaftlichen konservativen Backlash.
In Bezug auf alle Mobilisierungsdynamiken lässt sich auch nachzeichnen, dass zwar extrem rechte Akteur*innen als Taktgeber*innen fungieren, die bestimmte Narrative entwickeln, diese aber bereits vielfach von rechtskonservativen Politiker*innen, aber auch vereinzelt von Wissenschaftler*innen aufgegriffen werden und sich so verselbstständigen. Die Idee rechter Metapolitik, Diskurse so zu verschieben, dass Wahlgewinne nicht entscheidend sind, um extrem rechte Positionen zu etablieren, scheint in Bezug auf Queerfeindlichkeit also aktuell aufzugehen.
Wenn Sie mehr wissen wollen und den genauen Zusammenhang zwischen den erwähnten Twitter-Posts, Interviews und Aufmärschen und deren Bedeutung für Pädagogik erfahren möchten, finden Sie unseren Beitrag hier.
Insgesamt ist der im Herbst 2025 erschienene Sammelband eine absolute Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Themenfeld Neue Rechte, Extreme Rechte, Geschlecht und Pädagogik in Lehre und Forschung auseinandersetzen oder in ihrer Praxis mit den Themen konfrontiert sind. Der Sammelband bietet Einblick auch in internationale Phänomene und ermöglicht es, viele Zusammenhänge detaillierter zu verstehen.
Bergold-Caldwell, Denise; Blum, Rebekka; Dangelat, Marina; Grenz, Juno; Maurer, Susanne; Thon, Christine (Hrsg.) (2025). Pädagogik und Geschlecht als Gegenstand politischer Kämpfe. Zur Analyse rechter, antifeministischer und rassistischer Diskurse. Opladen u.a.: Barbara Budrich (390 Seiten).



