You are currently viewing Ungewöhnliches Terrain? Gedenken und Erinnern im Kontext Sozialer Arbeit

Ungewöhnliches Terrain? Gedenken und Erinnern im Kontext Sozialer Arbeit

Der Podcast Ungewöhnliches Terrain? Gedenken und Erinnern im Kontext Sozialer Arbeit in Kooperation der der Hochschule Nordhausen und dem Institut für Theorie und Empirie des Sozialen, widmet sich der Frage, ob und wenn ja in welcher Form Gedenken und Erinnern eine Aufgabe für die Soziale Arbeit darstellt. Hierfür werden Gäste eingeladen, die ihrer Perspektive erläutern. 

Die Erste Folge kann HIER oder direkt bei Spotify angehört werden.

Zum Kontext

Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit ist bisher ein eher ungewöhnliches Terrain Sozialer Arbeit. Dabei könnten Sozialarbeitende mit niedrigschwelligen Ansätzen, ihrer Methodenvielfalt, den biografiebezogenen Herangehensweisen, den doch eher von Historiker*innen dominierten Ansätzen des Erinnerns wichtige Impulse geben (Borbe & Hahnemann 2022). Zugleich legt der aktuelle Kinder- und Jugendbericht einen Fokus auf demokratische Bildung und konstatiert mitunter, dass Schüler*innen „sich zuweilen gar nicht an ein Unterrichtsfach mit dieser Ausrichtung [politische Bildung, sic]“ (Bundesministerium für Familie, 2020, S. 54) erinnern. Eine ähnliche Leerstelle an politischer Bildung an Schulen konstatiert auch die Mitte Studie (Achour, 2021) und betont hierbei die Bedeutung der politisch-historischen Bildung. Erinnerungsarbeit muss jedoch nicht nur als historische Bildung gedacht werden, sondern auch als ein sozialpädagogisches Bildungsangebot direkt erfahrbar sein. 

Gegenwärtige gesellschaftspolitische Entwicklungen dürfen zudem als weiterer Handlungsauftrag für die Soziale Arbeit gedeutet werden. Nicht nur Wahlergebnisse und über die Mitte-Studie wiederkehrend konstatierte rechtsaffine und menschenfeindliche Einstellungsmuster (Zick, 2021) sondern auch Diskursverschiebungen des „Sagbaren“ machen diesen Auftrag deutlich. Exemplarisch ist hier auf die Bezeichnung der NS-Zeit als „Vogelschiss in der Geschichte“ des AfD Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland als Umdeutungsversuch von Erinnerungskultur zu verweisen. Publikationstätigkeiten zu Fragen von Bildung und Erziehung des rechts-autoritativen Milieu sowie der Gründung von Stiftungen mit dem Ziel der Förderung einer rechten Elite ist eine Tendenz, über Bildung rechte Deutungen zu verbreiten (Achour, 2021; Simon & Thole, 2021; Thole et al., 2022). Dass sich auch Studierende der Sozialen Arbeit in Seminarkontexten rechtsaffin und antisemitisch äußern, darf als weiteres Indiz einer veränderten Strategie gedeutet werden (Besche, 2022) und ist eine Aufforderung sich in der sozialpädagogischen Forschung, Lehre und Praxis verstärkt mit Gedenken und Erinnern zu befassen.

Um Kinder und Jugendliche in der Erinnerungsarbeit Bildungsprozesse zu ermöglichen, ist eine mäeutische Haltung nötig. Mit aus der Kinder und Jugendarbeit entlehnten Prinzipien (Deinet et al., 2021) können Sozialpädagogen*innen Prozesse anregen, in denen Jugendliche in Auseinandersetzung mit der Welt sich selbst bilden und darüber andere Erfahrungen im Schulkontext erlangen. Moralisierungen und Antworten im Sinne des „richtigen Wissens“ können Reaktanz auslösen und Selbsterkundungen verhindern. Prinzipien wie „Lernen für Anerkennung durch Anerkennung“ und „Lernen für Menschenrechte durch Menschenrechte“ ermöglicht es Adressaten*innen und Besucher*innen sich offen den Inhalten des zu Gedenkenden anzunähern und ruft weniger Distanzierung oder Provokation hervor. Über diese unabdingbaren Kompetenzen ebenso wie über eine diversitätssensible Haltung, die Menschenfeindlichkeit bekämpft, verfügen insbesondere Sozialarbeitende und Sozialpädagogen*innen. Vor dem Hintergrund, dass Zeitzeug:innen bald nicht mehr werden berichten können, gibt sich die Soziale Arbeit den Auftrag, Diskriminierung zu identifizieren und gegen Hass und Hetze vorzugehen. In dem Podcast möchten wir die Möglichkeiten und Herausforderungen der Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit für die Soziale Arbeit mit unseren Referenten*innen und Ihnen diskutieren. Leitend sind Fragen nach den Zusammenhängen von politischer Bildung, rechten Narrativen, Antisemitismus, Postkolonialismus sowie weiteren menschenfeindlichen Einstellungen und Möglichkeiten der sozialpädagogisch gestaltenden Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit. Diskutieren möchten wir zudem theoretische und methodische Zugänge der Sozialen Arbeit in diesem Handlungsfeld sowie Kooperationen mit (Bildungs-)Historiker*innen. 

Autor*innen-Profil

Markus Sauerwein ist Hochschullehrer an der Hochschule Nordhausen mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe.
Seine Schwerpunkte sind: Soziale Arbeit und Schule, Ganztagsbildung, Jugend im transnationalen Vergleich, Kinder- und Jugendhilfe (Jugendarbeit), Profession und Professionalität, pädagogische Qualität, Ganztagsschule, Schulentwicklung, Bildungsmonitoring und Bildungsberichtserstattung, Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe & Anerkennung.

Schreibe einen Kommentar